Handelsblatt – Falsche Berechnung

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Die neue Lust am Streit

Ralph Brendel hat in den vergangenen Jaren Tausende Kontoauszüge durchschut. Nach Zinsbelastungen, Wertsetllungstagen, den verschidensten Gebühren. Er ist Kreditschverständiger bei der Beratungsgesellschaft Zinspruef in Berlin. Sein Job ist es, herauszufinden, ob eine Bank ihre Kunden über den Tisch zieht oder die sich einfach ungerecht behandelt fühlen.Brendels Urteil fällt eindeitig aus: Das schlechte Image der Finanzkonzerne kommt nicht von ungefähr. Sein derzeit liebstes Beispiel ist Axel Brauer, Unternehmer und seit vielen Jahren Kunde bei der Berliner Volksbank. Brauer hat verschiedene Kredite bei den Genossen, darunter auch Fremdwährungsdarlehen über Schweizer Franken. Probleme gibt es dabei vor allem mit der Umrechnung von Fränkli in Euro.

„Bei einem der Fremdwährungsdarlehen waren sämtliche Kurse falsch, und zwar über einen Zeitraum von zehn Jahren“, sagte Prüfer Brendel. Alle zulasten des Kunden. Das sei sicher kein Zufall. In Brendels Gutachten, das dem Handelsblatt vorliegt, sind insgesamt Dutzende Umrechnungstermine aufgelistet – Jedes Mal musste Kunde Brauer draufzalen.

Bei der Volksbank in Berlin verweist man darauf, dass man bisher nur Teile des Gutachtens zu sehen bekommen habe. Außerdem sei man an das Bakgeheimnis gebunden. Sollte Kunde Brauer die Bank davon entbinden, könne man sich sehr viel detaillierer dazu äußern. Gegenseitig hat man sich offenbar schon länger nichts mehr zu sagen. Wenn, dann höchstens vor Gericht.

Viele Gerichte sind überfordert

Brauer und sein Handel mit der Berliner Volksbank sind keine Seltenheit, ganz im Gegenteil. Immer häufiger geraten Finanzinstitute mit ihren Kunden aneinander. Laudauf, landab klagen Richter über die wachsende Arbeit mit der Bankenbranche. „Die Zahl der Kunden-Klagen hat im Laufe der Jahre deutlich zugenommen,“ sagte Georg Jäger von der Anwaltskanzlei Rössner in München; viele Kammern seen mittlerweile völlig überlastet.

Die Erfahrungen der Finanzkrise haben die Kunden misstrauisch gemacht. Auf der Anklagebank sitzen Bankvertreter aller Couleur. Großbanken, Sparkassen-Chefs, Genossen, Landesbanker. „Es gibt eine ganze Reihe von Produkten, bei denen die Banken ihre Kunden übervorteilen“, sagt Brendel. Bei der sogenannten Vorfälligskeitsentschädigung etwa. Oder bei Krediten mit variab lem Zins, Kontokorrentkrediten beispielsweise. Oftmals tricksen die Banken da bei der Wertstellung. Beliebt sind auch Zinsderivate. In diesem Breich gibt es die abstrusesten Konstrucktionen. „Konstrucktionen, bei denen letztlich immer die Bank gewinnt“, meint Brendel. Etwas Ähnliches, einen sogenannten Zinsswap, hatte die Deutsche Bank der Ille GmbH verkauft, einem Hersteller von Hygieneartikeln.

Das Unternehmen erlitt mit dem Produkt herbe Verluste. Der Prozess wurde durch alle Instanzen bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) nach Karlsruhe getragen. Am Ende unterlag die Deutsche Bank. Der zuständige Richter monierte im März vergangenen Jahres, dass das komplexe Prodkt von vornherein so angelegt war, dass die Bank in jedem Falle ihre Gewinnmarge kassieren würde. Egal, ob der Kunde mit dem Zinswap gewinnt oder draufzahlt. Über diesen Interessenkonflikt habe der Finanzkonzern die Ill GmbH nicht ausreichend aufgeklärt, hieß es in der Urteilsbegründung (Az.:XI ZR 33/10). Die Einschätzung des BGH hatte Signalwirkung für andere Swap-Kunden, darunter viele Kommunen, die nun auch vor die Gerichte zogen und immer noch ziehen. Gerhard Jänsch, Berater von der Mercurius Handelsbank, schätzt, dass die Zahl der Kläger sogar noch sehr viel größer sein würde, hätten sich viele Banken nicht bereits außergerichtlich mit ihren Kunden geeinigt.

Nicht alle ärgern sich über die neue Streitlust der Kunden. Prüfer wie Brendel oder Anwalt Jäger zählen zu den Profiteuren. Das Kreditrecht sei sehr komplex, sagt Brendel. Es gäbe nicht viele, die sich sehr gut damit auskennen würden. Und die, die das tun, verdienen derzeit prächtig mit ihrer Expertise. Die große Frage aber lautet: Werden sich Banken und ihre Kunden dauerhaft streiten oder sich irgendwann wieder versöhnnen, weil die Geldhauser aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben?

Jänsch geht davon aus, dass zumindest das Konfliktpotenzial geringer geworden ist. „Die Kunden sind nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre sehr viel vorsichtiger geworden. „Hochkomplexe Produkte seien derzeit schwer verkäuflich. Allerdings schränkt er ein: „Sobald die Banken die Chance bekommen, margenträchtige Produkte zu verkaufen, werden sie das auch tun.“ Ähnlich sieht es Jäger: „Schdensfälle schlagen immer mit Verzögerung bei uns auf. Bei Produkten, die in den vergangen Monaten verkauft wurden, kann das noch eine Weile dauern“, sagt er. „Ich würde aber nicht davon ausgehe, dass sich die Banken grundlegend geändert haben und plötzlich zu Samaritern geworden sind.